Let’s get it done – Warum Hochschulen eine Innovationskultur brauchen

Regeln gehören gebrochen, Traditionen gepflegt? „Innovationen scheitern nicht an Ideen, sondern an Institutionen.“ Dieser Satz wird häufig bemüht, wenn es um den Wandel im Hochschulbereich geht – und er beschreibt ein Kernproblem. Universitäten und Hochschulen stehen im Spannungsfeld zwischen jahrzehntelanger Tradition und der rasant fortschreitenden Transformation durch Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und gesellschaftlichen Wandel. Dank exzellenter Forschung generieren sie unzählige neue Erkenntnisse. Aber gelingt es ihnen auch, diese Ideen in sinnvolle Anwendungen umzusetzen? Ohne eine gelebte Innovationskultur riskieren Hochschulen, dass technologische und gesellschaftliche Entwicklungen an ihnen vorbeiziehen. Eine Innovationskultur umfasst mehr als einzelne Projekte oder Start‑ups; sie beschreibt die Haltung, mit der eine Organisation Veränderungen annimmt, neue Lösungswege erprobt und Risiken eingeht. Der folgende Artikel beleuchtet, warum eine solche Kultur für Hochschulen strategisch notwendig ist, welche Hürden bestehen und welche Wege zu einer lebendigen Innovationskultur führen können. Die Theorie Ein zentraler Referenzpunkt ist Edgar H. Scheins Modell der Organisationskultur. Schein definiert Kultur als „Annahmen, die eine Gruppe in ihren Lernprozessen gemacht hat und die an neue Mitglieder weitergegeben werden“[1]. Er unterscheidet drei Ebenen: grundlegende, oft unbewusste Annahmen; Werte und Normen, die in Leitbildern oder Strategien ausgedrückt werden; sowie Artefakte wie Strukturen, Rituale oder Architektur[1]. Für eine Innovationskultur heißt das: Es reicht nicht, Innovationsbüros einzurichten. In den Köpfen (erste Ebene) müssen Offenheit und Experimentierfreude verankert sein; in den Normen (zweite Ebene) müssen Fehler erlaubt sein; und sichtbar (dritte Ebene) sollten Labore und Maker‑Spaces als Räume des Ausprobierens existieren. Die Triple‑Helix‑Theorie von Henry Etzkowitz und Loet Leydesdorff erweitert den Blick. Sie entstand Mitte der 1990er Jahre, als Universitäten und Industrie stärker zur Kooperation aufgefordert wurden, um Wissen für gesellschaftliche Zwecke nutzbar zu machen[2]. Die Triple Helix beschreibt das Zusammenspiel von Wissenschaft, Wirtschaft und Regierung als Motor einer wissensbasierten Wirtschaft. Innovation entsteht demnach im Wechselspiel zwischen diesen Sphären: Universitäten als Wissensproduzenten, Unternehmen als Umsetzer und der Staat als regulatorischer Rahmen[3]. Eine Hochschule, die sich als „Entrepreneurial University“ begreift, muss deshalb aktiv Kooperationen mit Wirtschaft und Politik suchen und Interdisziplinarität fördern (vgl. Burton R. Clark 1998). Innovationskultur darf aber nicht mit technologischer Innovation verwechselt werden. Technische Neuerungen (z. B. KI‑Tools) können eingeführt werden, ohne dass sich das Mindset ändert. Kulturelle Innovationsfähigkeit bedeutet, dass Mitarbeitende bereit sind, bestehende Strukturen infrage zu stellen, Fehler zu akzeptieren und gemeinsam neue Wege zu gehen. Peter Drucker brachte es auf den Punkt: „Culture eats strategy for breakfast“. Eine innovationsorientierte Strategie scheitert, wenn die Kultur dem Wandel entgegensteht. Make it, or leave it Hochschulen gelten als „Expertennorganisationen“[4]. Professorinnen und Professoren identifizieren sich stärker mit ihrer Disziplin als mit der Institution; Verwaltung und Lehre werden als staatliche Pflichtaufgaben wahrgenommen. Dieses Verständnis führt zu einer institutionellen Trägheit: Fachbereiche sind autonome „Silos“, Führungskräfte besitzen nur begrenzte Steuerungsmöglichkeiten, und Entscheidungen werden in komplexen Gremien ausgehandelt[5]. Innovationen konkurrieren mit anderen Zielen und lassen sich schwer durchsetzen. Zu diesen strukturellen Faktoren kommen kulturelle Barrieren. Eine breit angelegte Workshop‑Reihe des Hochschulforum Digitalisierung identifizierte fünf Werte als Grundlage einer Innovationskultur: Transparenz, die Zusammenarbeit erleichtert; Vertrauen und Mut für riskante Ideen; Freiräume in Form von Zeit und Raum; Intrapreneure, die Ideen vorantreiben; und offene Kommunikation und Feedback[6]. Gleichzeitig nannten die Teilnehmenden typische Hindernisse: gesetzliche Vorgaben, starre Verwaltungsstrukturen, mangelnde Zeit und die Angst vor Veränderung[7]. Hierarchien bremsen, Innovations‑Initiativen werden auf einzelne Abteilungen beschränkt, und „Innovation“ wird oft nur technologisch verstanden – nicht als kulturelle Haltung. Eine weitere Hemmschwelle ist die fehlende Fehlerkultur. Studien weisen darauf hin, dass Organisationen nur dann innovationsfähig sind, wenn Fehler sichtbar gemacht und systematisch ausgewertet werden[8]. Dennoch verbergen viele Führungskräfte Fehler aus Angst vor Sanktionen[9]. Diese „zero‑error culture“ verhindert Lernen und Experimentieren. Nicht zuletzt erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit besondere Anreizsysteme. Die Triple Helix verdeutlicht, dass Innovation an den Schnittstellen entsteht. Doch akademische Anerkennungssysteme belohnen individuelle Publikationen mehr als kooperative Projekte. Ohne geeignete Karrierepfade drohen engagierte Innovator*innen, zwischen Lehre, Forschung und Transfer zerrieben zu werden. Let’s go – Wege zur Innovationskultur 1. Innovationsräume schaffen Ein zentrales Instrument sind physische und digitale Innovationsräume, die das Experimentieren fördern. ETH Zürich hat mit dem Student Project House einen Ort geschaffen, in dem Studierende fernab von Curricula an eigenen Projekten arbeiten können. Die Einrichtung beschreibt sich als „Raum für die kreative Community innerhalb der ETH“, in dem Studierende gemeinsam experimentieren, Konzepte testen, Gruppenprojekte beschleunigen und „morgen’s Ideen, heute“ aufbauen[10]. Im Ideaspace erhalten Studierende Coaching, Workshops und sogar Seed Funding; im Makerspace bauen sie Prototypen und lernen den Umgang mit Maschinen[11]. Solche Orte symbolisieren Offenheit und ermuntern dazu, Ideen außerhalb des regulären Lehrbetriebs weiterzuentwickeln. Auch international gibt es Vorbilder. Die Stanford d.school lädt Lernende ein, „menschzentrierte, kreative Lösungen“ zu entwickeln und ermöglicht durch flexible Räume die Entfaltung von Design‑Thinking‑Methoden[12]. In Finnland etabliert die Aalto University mit der Design Factory eine interdisziplinäre Experimentierplattform, die Design‑Thinking‑Werkzeuge vermittelt und den Blick auf die menschliche Perspektive legt[13]. Forschende betonen, dass dieses Mindset in verschiedensten Organisationsbereichen – von Recruiting über Entscheidungsfindung bis hin zur Innovationsförderung – anwendbar ist[14]. 2. Fehlerkultur fördern Eine offene Fehlerkultur ist laut zahlreichen Studien ein Schlüsselfaktor für Innovation. Organisationen sollten Fehler nicht tabuisiert, sondern als Lernchance begreifen[8]. Das bedeutet, Prozesse zur Analyse und Reflexion von Fehlern zu implementieren und das Ergebnis transparent zu teilen. Führungskräfte spielen eine Vorbildrolle: Wer offen über eigene Fehlentscheidungen spricht, schafft Vertrauen. In Hochschulen, in denen Misserfolge häufig stigmatisiert werden (etwa scheiternde Drittmittelanträge), kann eine positive Fehlerkultur radikale Veränderungen bewirken. Die Umantis‑Studie zeigt jedoch, dass Führungskräfte zwar den Nutzen erkennen, aber trotzdem Fehler verbergen[9]. Hier besteht akuter Handlungsbedarf. 3. Interdisziplinarität und Co‑Creation stärken Innovative Lösungen entstehen selten innerhalb einer einzelnen Disziplin. Die Triple Helix betont die Wechselwirkung zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Staat[3]. Hochschulen sollten Anreize schaffen, damit Forschende aus unterschiedlichen Fachrichtungen und mit externen Partnern zusammenarbeiten. Dazu gehören interdisziplinäre Projekte, Co‑Creation‑Labs mit Unternehmen oder öffentlichen Einrichtungen sowie die Einbindung von Studierenden in reale Problemstellungen (Problem‑Based Learning). Die Aalto Design Factory zeigt, wie interdisziplinäres Arbeiten in der Lehre verankert werden kann[13]. Ebenso sollte die Forschungstransfer‑Abteilung aktiv Geschäftsmodelle und Partnerschaften entwickeln, die über klassische Patentauslizenzierung hinausgehen. 4. Innovationskompetenzen in Führung und Lehre integrieren Kultureller Wandel beginnt bei den Entscheidungsträgerinnen. Leadership‑Programme sollten Innovationskompetenzen (z. B. Agilität, Design Thinking, Change Management) vermitteln und Hochschulangehörige befähigen, Veränderungsprozesse zu gestalten. Edgar Scheins kulturelle Ebenen verdeutlichen, dass Lernprozesse notwendig sind, um unausgesprochene Annahmen zu hinterfragen[1]. Auch Curricula können